Eine Beobachtung:
Montag, der 16.3.2020: Es treten starke und umfangreiche Verbote
und Einschränkungen durch die Corona-Krise in Kraft, mit dem Ziel die
Ausbreitung der Corona-Infektionen zu verlangsamen, indem alle Menschen sozial
auf Abstand gehen sollen, zu diesem Zweck also auch Ansammlungen von Menschen
möglichst vermieden werden.
Am selben Tag, der außerdem wettermäßig ein erster
Frühlingstag ist, kann man am Rhein in Köln viele Gruppen von vielleicht 15-30
Menschen beobachten, die sich dort zusammenfinden, um zu grillen, Bier zu
trinken und Spaß zu haben.
Dieses Verhalten ist sicherlich was die Ausbreitung von
Corona angeht kontraproduktiv und steht damit selbstverständlich im Widerspruch
zu den von Politikern erlassenen Anweisungen.
Psychologisch darf und muss man sich aber die folgenden Fragen
stellen: Handelt es sich dabei einfach um Gedankenlosigkeit? Glauben die
Menschen, dass all die neuen Verbote übertrieben sind? Sind diese Menschen nur
am eigenen, unmittelbaren Spaß und Wohlbefinden interessiert, ohne die weiteren
Risiken ihres Verhaltens abzuwägen?
Oder kann hinter diesem scheinbar gelassenen und
gleichzeitig unvernünftigen Verhalten auch ein tieferer Sinn stecken?
Ich glaube schon! Psychologisch betrachtet würde ich davon
ausgehen, dass dieses Verhalten nicht nur einfach der unmittelbaren
Bedürfnisbefriedigung dient (soziale Kontakte und Bier), sondern dass es möglicherweise
viel mehr eine Maßnahme des Psychischen ist, mit einer schwer greifbaren
Bedrohung zurechtzukommen, der gegenüber man sich hilflos ausgeliefert fühlt:
Indem ich das Gegenteil von dem tue, was die Virologen
empfehlen und die staatlichen Stellen vorschreiben, beweise ich mir sozusagen,
dass die Gefahr gar nicht so groß ist. Dies folgt folgendem Motto: Wenn ich
mich doch gegen alle Ratschläge traue, mich mit anderen Menschen zu treffen,
dann kann die Gefahr ja gar nicht so groß sein, weil, wenn die Gefahr wirklich
ernstzunehmend wäre, ich mich das ja niemals trauen würde!
Dies ist weder ein vernünftiger Gedanke, noch wird dieser
Gedanke von irgend einem der Menschen, die sich so verhalten, bewusst jemals so
gedacht; dennoch ist gerade dieses Vorgehen eine typische, meistens nur halb
bewusste oder vollständig unbewusste psychische Abwehrreaktionen im Umgang mit
Angst.
Man nennt dies contra-phobisches Verhalten, also ein
Verhalten, das so tut, als gäbe es eine bestimmte Gefahr gar nicht, um sich
selbst vor Augen zu führen, dass diese Gefahr gar nicht existiert, und man also
auch keine Angst vor ihr haben muss.
Dies geht einher mit einem anderen typischen, psychischen
Abwehrmechanismus, nämlich dem der Verleugnung: Ein sogenannter unverträglicher
Inhalt wird weggemacht indem man so handelt, als gäbe es ihn gar nicht.
Unverträgliche Inhalte sind solche, die das Seelenleben nur
schwer oder eben gar nicht ertragen und aushalten kann; die am schwersten
auszuhalten Inhalte sind solche, die starke Angst oder Scham auslösen.
Verleugnete Inhalte oder verleugnete Gefühle sind dem Bewusstsein zwar
grundsätzlich zugänglich, anders zum Beispiel als bei dem sehr viel bekannteren
Vorgang der Verdrängung, aber solange ein Mensch einen Inhalt oder ein Gefühl
verleugnet bekommt, anders gesagt: solange er dies aktiv tut, ist der Inhalt
oder das Gefühl ebenso vollständig verschwunden und zugänglich wie bei der
Verdrängung.
Kurz gesagt: Die Angst ist weg! Das ist ein sehr nennenswerter
psychischer Gewinn. Dass ich dadurch gleichzeitig Risiken eingehe, eventuell
die Gefahr dadurch sogar steigere und mir vernünftigerweise eher mehr als
weniger Sorgen machen sollte, fühle ich
dann aber nicht, wodurch es mir psychisch unmittelbar erst einmal besser geht.
Dies tun wir nicht nur bei großen Krisen wie jetzt im Falle
von Corona, dies tun wir im Alltag sehr häufig: Wenn zum Beispiel Menschen an
einem Abend zu viel Alkohol trinken, denn ist ihnen nicht bewusst, dass sie
dafür am nächsten Tag einen Preis in Form eines Katers zahlen. Sie wissen aus
Erfahrung, dass dies so sein wird, sie denken aber nicht daran, weil es das
unmittelbare Vergnügen am Vorabend einschränken würde. Macht man sie darauf
aufmerksam, so spielen sie die zu erwartende Konsequenz des nächsten Morgens
herunter. Hauptsache jetzt kann ich die Situation genießen.
Um es mit dem wunderschönen Satz eines Märchens zu sagen: „Ja,
so sind die Menschen!“ (Kommentar des Erzählers in dem Märchen „Der Wolf und
die sieben Geißlein“, als der Bäcker, um sich selbst zu schützen und nicht
aufgefressen zu werden, zur Täuschung dem Wolf die Pfote mit Mehl bestäubt.)